ajax·müller·horatier
Es ist ein Stück über Gewalt, staatlich tolerierte und nicht tolerierte, es ist ein Stück über moralisches Handeln und über unmoralisches, es ist ein Stück über die Schwierigkeiten mit der Wahrheit, über das Bemühen, eine eindeutige Lösung für eine zweideutige Sache zu finden.
Die Geschichte ist alt, die Geschichte ist bekannt, die Geschichte steht in Livius' Geschichtswerk. Drei Brüder der Familie der Horatier kämpfen gegen drei Brüder der Curiatier, um einen Krieg, der sonst die Heere der Städte Rom und Alba Longa verschlungen hätte, im Zweikampf zu entscheiden. Die Horatier siegen. Rom siegt. So weit in Ordnung, hätte nicht der Horatier – bei Müller ist es jeweils nur ein Kämpfer – den Curiatier, den Verlobten seiner Schwester getötet, die ihm diesen Mord nicht verzeiht, den staatlich gewollten, den sogar notwendigen (?). Der Horatier tötet auch seine Schwester, diesmal nicht im staatlichen Auftrag, diesmal aus gekränktem Ehrgefühl, aus Patriotismus, aus Mordlust? Was nun? Was wiegt schwerer: das Verdienst, durch den einen (notwendigen?) Mord die Stadt Rom gerettet zu haben, oder die Schuld, einen nicht notwendigen Schwesternmord begangen zu haben? Was wiegt schwerer, Verdienst oder Schuld?Die theaternasen des Gerstunger Philipp-Melanchthon-Gymnasiums haben den 1968 entstanden Text Heiner Müllers (1929 – 1995) mit anderen Texten desselben Autors erweitert, ergänzt, kontrastiert, weitergedacht und so ihren Horatier gebaut.